Wer schon einmal eine Ernährungsumstellung vollzogen hat, weiß, dass so eine Aktion oft mehr Aufwand und Mühe mit sich bringt, als vorher vielleicht gedacht. Die Schriftstellerin Karen Duve hat sich hintereinander gleich vier Ernährungsumstellungen unterzogen und diese in ihrem Buch “Anständig essen” dokumentiert.
Dabei ging es ihr bei ihrem Versuch, der sich über insgesamt 10 Monate erstreckte, nicht darum, sich gesünder zu ernähren oder Gewicht zu verlieren. Stattdessen standen bei ihr moralische und ethische Fragen im Vordergrund.
Ausgelöst wird der Nachdenkimplus, als sie im Supermarkt nach einer Packung Hähnchen-Grillpfanne greift, einem von ihr häufig gekauften Fertiggericht. Ihre Mitbewohnerin Kerstin, im weiteren Verlauf als “Jiminy Grille” nach der Figur aus Pinocchio bezeichnet, macht sie darauf aufmerksam, dass ein ganzes Huhn, das nur 2,99€ kostet, in grausamen Zuständen gelebt haben muss. Bilder aus Fernsehdokumentationen über Massentierhaltungen flackern vor Karen Duves innerem Auge auf. Sie verzichtet auf die Hähnchen-Grillpfanne.
Die Frage nach der Moral in unserem Essensystem geht ihr aber so schnell nicht aus dem Kopf. Sie beschließt, ein Experiment zu wagen, in dem sie versucht, die Diskrepanz zwischen ihren Essensgewohnheiten und ihrer Moralvorstellung zu verringern.
Bio
Sie beginnt das neue Jahr damit, ihre Ernährung auf Bio umzustellen. Aufgrund der geringen Anzahl von Bio-Produkten in normalen Supermärkten, geht sie bald ausschließlich in Bioläden einkaufen. Sie rechnet aus, dass sie bei einfachen Produkten wie Obst und Gemüse nur ca. 20% mehr zahlt als im herkömmlichen Supermarkt – eine Preiserhöhung, die es ihr wert ist. Bei anderen Produkten sind die Preise allerdings um mehr als 100% erhöht. Sehr unterhaltsam liest sich das Buch, wenn Duve versucht, gut schmeckende Varianten ihrer Lieblingslebensmittel in Bio-Form zu finden. Von der Bio-Cola ist sie beim ersten Schluck ernüchtert und auch das Bio-Curryketchup lässt die Frittenbuden-Qualität vermissen. In den Bio-Käse ist sie allerdings bald verliebt. Die Umstellung auf Bio ändert ihre Ernährungsgewohnheiten trotzdem nur gering: “Eigentlich macht es überhaupt keinen Sinn, dass du dich bio ernährst”, sagt Jiminy, wendet sich mir zu und sieht (…) auf den Keksteller, in den ich gerade greife. “Du frisst genauso wahllos alles in dich hinein wie vorher.” “Ja”, gebe ich zurück, “aber es schmeckt viel schlechter. Diese Öko-Kekse sind ja wie eine Schaufel-Sand im Mund.”
Vegetarisch
Nach zwei Monaten bio, brechen zwei Monate des Vegetarierdaseins an. Damit fallen nicht nur Fleisch und Fisch weg, sondern auch Gelatine, die z.B. in Gummibärchen enthalten sind. Karen Duve macht sich vermehrt Gedanken über das Töten von Tieren. Auch Themen wie das Angeln werden behandelt. Die Frage: Gibt es eine Möglichkeit, an moralisch einwandfreies Fleisch zu kommen? Wohl eher nicht. So zumindest Duves Schluss.
Vegan
Die Konsequenz: Vier Monate vegane Ernährung. Jetzt muss auch auf den köstlichen Bio-Käse verzichtet werden. Karen Duve belässt es allerdings nicht bei der Ernährungsumstellung. Stattdessen weitet sie ihre neue vegane Philosophie auf immer mehr Bereiche ihres Lebens aus. Sie geht sogar so weit, Gegenstände aus ihrem Besitz wegzuwerfen, die aus Leder oder anderen tierischen Produkten bestehen. Auch Hautcremes und andere Kosmetikprodukte müssen nun vegan sein. Interessant sind auch die Berichte über zwei Tierbefreiungsaktionen, an denen sie teilnimmt.
Frutarisch
Inspiriert vorm Film Notting Hill, den sie zu Beginn des Experiments sieht und in dem ein Charakter in einer Nebenrolle frutarisch lebt, beschließt Karen Duve, auch diese Ernährungsweise zwei Monate lang auzuprobieren. Da der Begriff “frutarisch” nicht jedem geläufig ist, hier eine Erklärung: Im Frutarismus werden nur Früchte gegessen – also nur das, was einer Pflanze genommen werden kann, ohne der Pflanze zu schaden. Also: Obst, Bohnen, Nüsse usw. Wurzelgemüse wie Zwiebeln dürfen beispielsweise nicht gegessen werden. Dies schränkt die Auswahl der erlaubten Lebensmittel natürlich noch stärker ein. Auch wenn es ihr eine zeitlang damit sehr gut geht, wird es bald eintönig.
Anständig essen – Fazit
Das Buch “Anständig essen” ist unterhaltsam und informativ geschrieben. Dabei wird zwischen persönlichen Erzählungen und der Aufzählungen von Fakten abgewechselt. Hier wird nicht nur das Thema Massentierhaltung, sondern auch Themen wie z.B. das Schmerzempfinden von Pflanzen, Tiermisshandlungen, Ausbeutung von Menschen, Jagd und Angeln sowie Haustierhaltung angesprochen. Nicht ganz so überzeugend ist die Arbeit, die sich die Autorin zum Thema Klimawandel gemacht hat: Hier werden vor allem aktuelle Naturkatastrophen aufgezählt – ein direkter Zusammenhang wird aber nicht gut deutlich gemacht und bleibt daher eher unüberzeugend.
Spaß macht dieses Buch vor allem, das sich die Autorin nicht ganz so ernst nimmt. Sie redet offen über ihre Schwierigkeiten und Verfehlungen während des Experimentes. Wenn sie Cola Light als “wunderbares Getränk” bezeichnet, gleichzeitig aber mit ihrem Gewissen kämpft, kann man ihren Schmerz nachempfinden: Es ist eben mehr als unkomfortabel, seine alten Gewohnheiten loszulassen, auch wenn diese noch so ungesund oder ethisch fragwürdig sind.
“Anständig essen” regt gut zum Nachdenken an und liest sich dabei wie ein unterhaltsamer Roman – eine wunderbare Mischung.
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Odilia Wegener
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